Montag, 26. September 2016

Passionen

Horst Bertsch. Foto: Sabine Schönberger (Bonny)
Warum denkt man bei dem Wort „Passion“ vorzugsweise an Männer, die völlig verzückt ihrem Hobby nachgehen? Warum hat man eher das Bild eines Mannes vor Augen, der nächtelang am Computer sitzt oder aber Sonntage mit der Carrerabahn am Boden? Warum haben Frauen bestenfalls Hobbys  (Tennis) und Leidenschaften (Schuhe), aber keine Passion? Ein Erklärungsversuch mit Horst Bertsch, dem in Neuenstein lebenden Psychotherapeuten.
Herr Bertsch, was versteht man unter einer Passion?
Bertsch: Da müssen wir zuerst den Begriff klären. Passion heißt  Leidensfähigkeit.
Und wer leidet? Die Partnerin? Die Familie?
Bertsch: Ja, manchmal auch. Zuerst aber ist Passion die männliche Art von Ehrgeiz und Leidensbereitschaft, die Art, Dingen eine übergeordnete Bedeutung zu geben.
Warum tun das mehr Männer als Frauen?
Bertsch: Vielleicht hat das einen völkerkundlichen Hintergrund? Liegt es daran, dass Frauen neben ihrer originären Aufgabe, sich um die Kinder und das Haus zu kümmern, nicht mehr so viel Zeit und Energie für etwas Eigenes hat? Dass der Mann sich als Ernährer und Geldverdiener leichter tut, Geld auch nur für sich auszugeben?
Oder sind Frauen einfach vernünftiger?
Bertsch: Männer haben vielleicht schon einen höheren Spieltrieb als Frauen und sind eher geneigt, ihn auszuleben.
Also trifft der Spruch zu: Männer werden acht und dann nur größer?
Bertsch: Irgendwie schon. Männer leben ihre kindliche Seite oft exzessiver aus. In guten wie in schlechten Dingen.
Haben Frauen oft weniger Zeit für ihre Interessen?
Bertsch: Auch das mag gut sein. Der Mann hat Freizeit, wenn wer freie Zeit hat. Die Frau heute ist berufstätig und kümmert sich danach um Haus und Garten.
Aber warum?
Bertsch: Gute Frage: Wir haben kein Problem mit der Vorstellung,  dass der Mann Sonntagmorgens Rennrad fährt oder mit seinem Motorrad eine Tour macht, während sich die Frau daheim mit den Kindern auf dem Spielplatz vergnügt. Wir haben aber das Gefühl, ein schräges Bild vor Augen zu haben, wenn wir daran denken, das s die Frau eine Runde im Cabrio dreht, während der Mann daheim das Bad putzt.
Aber Männer können stundenlang Auto putzen, will uns das Vorurteil glauben machen?
Bertsch: Aber ein Mann würde nie mit der Leidenschaft Bad und Toilette schrubben, wie er die Stoßstange poliert. Das hat etwas mit detailverliebt zu tun.
Und ab wann ist eine Passion ungesund?
Bertsch: Für mich oder die Beziehung? Für mich, wenn es ins Zwanghafte geht. Obsessivität  ist in der Sexualität oft zu beobachten. Da muss man dann fragen: Wo geht es auf Kosten der Lust? Denn zwanghaft wird schon lustlos. Und dann ist da noch die zwischenmenschliche Ebene, wo eine Passion ungesund werden kann. Nämlich dann, wenn sie nicht mehr vereinbar ist mit anderen Bedürfnissen. Aber ob etwas obsessiv betrieben wird, das ist auch abhängig von der Person. Es muss stimmen. So wie Freunde im Laufe des Lebens wechseln, kann sich die Intensität verändern, mit denen wir Dinge tun.
Warum aber finden wir weniger Frauen in Kleintierzuchtvereinen oder bei den Modellfliegern?
Bertsch: Das hängt sicher auch damit zusammen, dass Männer Es-Typen sind, Frauen Du-Typen. Frauen haben kein Problem damit, mit anderen Frauen am Tisch zu sitzen und einfach so zu reden. Männer brauchen ein Ding, über das sie zusammen ins Gespräch kommen. Und daraus entwickelt sich dann oft das Experten-Sein-Wollen. Dann reicht nicht mehr das einfache Tourenrad, um zusammen durch die Gegend zu radeln, dann muss es ein Fully sein oder das neuste Rennrad. So wird das Hobby zur Obsession.


Horst Bertsch (58) ist Psychotherapeut mit eigener Praxis in Neuenstein (Hohenlohekreis). Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne (29 und 25). Bertsch ist in Bad Friedrichshall (Landkreis Heilbronn)  und hat in Regensburg Psychologie, Pädagogik und Philosophie studiert. Bertsch hat im ZfP Weinsberg gearbeitet, ehe er für die St. Josefspflege Mulfingen mit Jugendlichen arbeitete. Seit 1988 hat Bertsch eine eigene Praxis und arbeitet auch als Supervisor.


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